«Erstmals hat die Politik anerkannt, dass familienergänzende Kinderbetreuung systemrelevant ist. Sie erlaubt die volkswirtschaftlich erwünschte Erwerbstätigkeit beider Elternteile.»

Im Gespräch mit Gabriela Winkler

Gabriela Winkler, Präsidentin Stiftung GFZ (vormals Gemeinnütziger Frauenverein Zürich), Co-Präsidentin Stiftung Chance (Kompetenzzentrum für berufliche Integration), Mitglied des Leitenden Ausschusses des Verwaltungsrates der EKZ (Elektrizitätswerke des Kantons Zürich), Stiftungsrätin Innovationspark Zürich und Swiss Innovation sowie Mitglied Vorstand Spitex Schweiz. Neben ihrem unglaublich beeindruckenden Engagement ist Gabriela Winkler seit 30 Jahren Inhaberin eines Beratungsunternehmen für Kommunikation, ehemalige FDP-Kantonsrätin in Zürich (1999 – 2015) und Mutter von zwei erwachsenen Kindern.

Wir sprachen mit Gabriela Winkler über ihr Engagement während der Corona-Krise und setzten dabei den Schwerpunkt auf ihr Stiftungsratsmandat GFZ, die älteste, gemeinnützige Betreiberin von Kinderbetreuungsangeboten in der Stadt Zürich.

Gabriela Winkler ist seit 5 Jahren Präsidentin der Stiftung GFZ, die älteste, gemeinnützige Betreiberin von Kinderbetreuungsangeboten in der Stadt Zürich.

Wie hat sich die Corona-Krise bisher auf Ihren privaten, politischen sowie beruflichen Alltag ausgewirkt?
Wenig und gleichzeitig sehr viel. Einerseits habe ich keinerlei Schwierigkeiten mit Homeoffice, weil ich mein Geschäft als Alleinerziehende schon immer im gleichen Haus hatte wie unsere Wohnräume. Weggefallen sind natürlich die Reisen zu den Kunden und die Teilnahme an Sitzungen. Einige Kunden haben ihre Projekte storniert. Manche Anlässe wurden verschoben oder gar abgesagt. In allen Organisationen hinterlässt die Corona-Krise Spuren. Auch solid finanzierte Firmen stehen vor Herausforderungen, die auf betrieblicher wie auch auf strategischer Ebene angegangen werden müssen. Verzögerungen politischer Entscheide bzw. das geltende Notrecht generieren Unsicherheiten, mit denen man umgehen können muss.

Gibt es Engagements, welche Sie während dieser ausserordentlichen Lage verstärkt verfolgen und was gibt Ihnen den notwendigen Antrieb dazu?
Meine beiden erwähnten Stiftungsratsmandate GFZ und Chance fordern vollen Einsatz, insbesondere GFZ. Wir betreuen in 15 Kitas und 80 Tagesfamilien rund 2000 Kinder im Alter von 3 Monaten bis zum Eintritt in den Kindergarten mit 4 Jahren. Ausserdem führen wir 3 Familienzentren, die leider im Moment geschlossen sind. Wir beschäftigen rund 500 Personen entsprechend einem Stellenetat von 301 Vollzeitstellen. Mit einem Umsatz von mehr als 22 Millionen sind wir ein mittelgrosses Unternehmen, ein MU.

Das Thema familienergänzende Kinderbetreuung begleitet mich seit fast 40 Jahren. Meine Kinder und ich erinnern sich gerne an ihre Zeit in der ABB-Kinderkrippe in Baden. Ich habe den Austausch mit den Betreuerinnen sehr geschätzt. In meiner Zeit als Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft Frauen 2001 war ich mit einer schweizweiten Kampagne für die «scuola d’infanzia» des Kantons Tessin unterwegs. Bei der Ausarbeitung des Positionspapiers der FDP Schweiz «Grundlagen liberaler Lebensgestaltung» waren Individualbesteuerung und Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein zentrales Anliegen.

Was mich anspornt? Ich kann einfach nicht anders, als mich für das Wohl von Kindern und ihrer Eltern einsetzen. Vielleicht weil ich sehr genau weiss, was das bedeutet und welche Bedeutung dies für unsere Gesellschaft hat.

Nennen Sie die grössten Herausforderungen, die sich dabei ergeben.
Kitas sind vom Bundesrat als systemrelevant bezeichnet worden. Die Kantone wurden aufgefordert, für die Aufrechterhaltung der Kinderbetreuung zu sorgen, wenn diese nicht anderweitig sichergestellt werden kann. Wir haben, wie in den Risikovorsorgepapieren der Stiftung vorgesehen, bereits Ende Februar unser Pandemieteam aktiviert. Die grössten Herausforderungen sind der Schutz unserer Mitarbeitenden und der uns anvertrauten Kindern sowie das Stemmen der Zusatzkosten. Zwei Kitas mussten wegen erhärteten Verdachtsfällen von Mitarbeitenden während 14 Tagen geschlossen werden. Beide konnten am 6. April 2020 ihren Betrieb wieder aufnehmen. Die Elternbeiträge bis zum 10. Mai 2020 wurden von der Stadt Zürich übernommen. Einige Gemeinden haben nachgezogen. Die Finanzierung der Elternbeiträge über den 30. April 2020 hinaus ist nicht gesichert und wie ein schrittweises Hochfahren des Betriebes - sprich die Betreuung von wieder mehr Kindern – unter Wahrung von Schutzmassnahmen stattfinden kann, ist noch nicht im Rahmen von Verordnungen oder Empfehlungen festgelegt.

Mit welchen Massnahmen/Mittel begegnen Sie diesen Herausforderungen?
Wir bemühen uns, weiterhin eine vorbildliche Arbeitgeberin zu sein und gemeinsam mit unseren Betreuerinnen vor Ort neue Formen und Strukturen zu entwickeln. Es ist uns wichtig, unsere Betreuungsqualität aufrecht zu erhalten und den neuen Sicherheitsbestimmungen anzupassen. Das sind mitunter auch sehr einfache Massnahmen, wie z.B. dass die Übergabe der Kinder ausserhalb der Lokalitäten stattfindet, um jede Kontamination der Aufenthaltsräume auszuschliessen. Andererseits müssen wir aber auch Betreuungsteams strikte trennen und die Kinder möglichst in kleinen Gruppen betreuen, was eine sehr anspruchsvolle Angelegenheit ist – vor allem dann, wenn die Anzahl der Kinder wieder steigt.
Zudem gilt es, finanzielle Mittel zu generieren, um die Zusatzkosten abzufedern. Wir verstärken daher den Dialog mit den politisch verantwortlichen Behörden, aber auch mit Banken, Versicherern und Vermietern. Wir müssen, wenn immer möglich verhindern, uns zu verschulden. Die Kinderbetreuung ist ein Tagesgeschäft. Ausgefallene Stunden sind für immer weg. Es gibt keine Kompensationsmöglichkeiten wie in der Industrie, welche ihren Ausstoss in besseren Zeiten wieder steigern kann.

Ergeben sich auch neue Chancen/Möglichkeiten durch diese Krise?
Erstmals hat die Politik anerkannt, dass familienergänzende Kinderbetreuung systemrelevant ist. Sie erlaubt die volkswirtschaftlich erwünschte Erwerbstätigkeit beider Elternteile. Wir haben anerkanntermassen ein Fachkräfteproblem, was Akzeptanz und Unterstützung von familienergänzender Kinderbetreuung förderlich sein sollte. Weniger bewusst ist noch (zu) vielen Politikerinnen und Politikern, dass wir auch grosse Lücken in der beruflichen Vorsorge von Teilzeitbeschäftigten oder während der Familienphase aus dem Erwerbsleben ausscheidenden Personen haben. Altersarmut droht und sie ist weitgehend weiblich.

Was möchten Sie abschliessend der Bevölkerung mit auf den Weg geben?
Die Arbeitswelt wird sich als Folge der Corona-Krise wandeln. Es wird mehr Homeoffice geben als bisher, weil sich nun gezeigt hat, dass die modernen Kommunikationsmittel das möglich machen. Damit dies ohne Mehrfachbelastung der Eltern möglich ist und ein Backlash in Form von «Mütter an den Herd» verhindert werden kann, muss die bestehende familienergänzende Kinderbetreuung nicht nur erhalten, sondern weiter ausgebaut werden.